Bildgestaltung
Eine kurze Einführung für die Fotografie
Steile und Flache Perspektive
Oft gebraucht werden die Begriffe Teleperspektive respektive Weitwinkelperspektive. Diese Perspektiven
sind in Tat- und Wahrheit nicht verursacht durch die entsprechenden Optiken, sondern ergeben sich erst
durch den sinnvollen Einsatz ebendieser Optiken.
Weitwinkelperspektive
Weitwinkelperspektive.
Bild: Michael Albat
Die Weitwinkelperspektive charakterisiert sich durch den starken Grad der perspektivischen Verkürzung,
Fluchtlinien verlaufen steil. Objekte in der Nähe und der Ferne werden in auffällig unterschiedlichen
Grössen wiedergegeben. Objekte im Vordergrund sind sehr gross, Objekte in der Ferne verhältnismässig
klein dargestellt.
View life through a wide angle lens attitude and see your horizons broaden.
(Stephen Richards)
Dies ist genau genommen nicht eine Eigenart der Weitwinkeloptik, sondern basiert auf den stark unterschiedlichen
Distanzen der einzelnen Objekte zur Optik, weil der Aufnahmestandort zumeist sehr nahe dem eigentlichen
Vordergrundobjekt ist um dieses in genügender Grösse ins Bild zu setzen. Da der Bildhintergrund
in bedeutend kleinerem Abbildungsmassstab abgebildet wird, lässt sich in einem Bild mit derartiger
Perspektive viel Hintergrund integrieren, das heisst, kleine Objekte in Vordergrund und grosse Objekte
im Hintergrund passen gleichermassen ins Bild. Dies ist dann sinnvoll, wenn sowohl dem Element im Vordergrund
als auch dem Hintergrund Bedeutung zukommt oder die beiden Ebenen miteinander sogar in einer sinnvollen
Beziehung stehen. In nebenstehenden Bild des vertauten Schiffes wird durch das Schiff im Hintergrund
die Funktion und der Zweck des Pollers im Vordergrund verdeutlicht.
Weitwinkelbilder sind fast immer inhaltlich orientiert - nicht umsonst werden weite Bildwinkel gerne
im Reportagebereich eingesetzt. Als Gegenleistung für den Aufwand locken Bilder, welche über
formaler Spielerei stehen.
Fotografieren mit weitem Bildwinkel ist gestalterisch anspruchsvoll. Wenn wir den aktiven Gestaltungsprozess
eines Bildes als Aufräumen der Bildfläche betrachten, so gibt es bei grossem Hintergrundbereich
eben auch entsprechend viel aufzuräumen, Ästhetik mit vielen Bildelementen kann zu einer Herausforderung
werden.
Bezüglich fotografischer Themen eigenen sich Weitwinkelobjektive unterschiedlich. Ich übernehme
hier die Themenaufteilung von Harald Mante aus seinem Buch Objektive kreativ nutzen:
- Porträts und Halbfigur: Ausgehend von der Idee, dass ein Porträt eine Person weitgehend
unverzerrt wiedergeben soll, erscheinen Weitwinkelobjektive für dieses Genre ungeeignet.
- Figur und Gruppe: Vorallem für Gruppenaufnahmen eignen sich gemässigte Weitwinkelobjektive
recht gut. Extreme Weitwinkelobjektive sollten jedoch auch für diese Anwendung nicht verwendet
werden, da mit ihnen Personen am Bildrand übergross und bereits bei leicht geneigter Kamera schräg
stehend erscheinen.
- Landschaft: Landschaftsfotografie ist eine Paradedisziplin für den Einsatz von Weitwinkelfotografie.
Wichtige Elemente der Gestaltung sind die Höhe des Horizonts und vorallem bei hohem Horizont die
Elemente im Vordergrund. Die natürlichen Formen der Landschaft verzeihen auch ein vernünftiges
Mass an Verzerrung.
- Pflanzen: Vorallem für die Abbildung von grossflächigem Pflanzenbewuchs eignen sich Weitwinkelobjektive.
Ansonsten gilt hier ähnliches wie bei Landschaft.
- Tiere: Tiere mögen es nicht wenn man sich über sie lustig macht, daher gilt hier das gleiche
wie beim Thema Porträts. Bedenken Sie auch, dass Sie mit einem Weitwinkelobjektiv nahe am Tier
sind, sollte das Bild dem Tier nicht gefallen könnte dies unangenehm werden.
- Architektur: Architekturfotografie kommt oftmals aufgrund der Grösse der Motive nicht ohne
Weitwinkelobjektiv aus. Andererseits sind die sich daraus ergebenden Verzerrungen sicher auch nicht
im Sinne des Architekten. Aus diesen widersprüchlichen Anforderungen hat sich eine Architekturfotografie
mit einer mehr oder weniger stark verzerrte Abbildung, jedoch ohne stürzende Linien herausgebildet.
Andererseits können (moderat) stürzende Linien auch als Stilmittel eingesetzt, um die Grösse
eines Gebäudes eindrucksvoll in Szene zu setzen.
- Stillleben: Aufgrund der überschaubaren Grösse der meisten Motive für Stilleben gibt
es keinen spezifischen Bedarf, diese mit speziell weitem Bildwinkel zu fotografieren. Interessant sind
gemässigte Weitwinkelobjektive, welche das Stillleben noch weitgehend verzeichnungsfrei wiedergeben,
aufgrund der noch kurzen Brennweite es aber trotzdem erlauben, das Stillleben über seine ganze
Tiefe scharf abzubilden.
- Experiment: Experimente geht natürlich immer. Vermutlich geht es bei diesem Experimente dann
vorallem um die Verzerrungen welche durch den weiten Bildwinkel entstehen.
Teleperspektive
Teleperspektive.
Bild: Michael Albat
Die Teleperspektive entsteht, wenn der Motivberiech aus grosser Distanz fotografiert wird. Die einzelnen
Objekte werden dadurch in ähnlichem Massstab dargestellt. Im Gegensatz zur Weitwinkelperspektive
fällt die perspektivischer Verkürzung gering aus. Objekte und Raum werden also wenig verzerrt,
sie zeigen sich weitgehend in den wahren Proportionen.
Dadurch entsteht im Bild aber auch der Eindruck geringer Tiefe, die Bildebenen liegen scheinbar näher
aufeinander. Flächen und Strukturen werden betont, das Bild kriegt tendenziell eine grafische Wirkung.
Entsprechend wird die Teleperspektive auch eingesetzt:
- Reduktion und Abstraktion des Bildes auf formale grafische Elemente wie Farben, und Formen.
- Verminderung des Hintergrundbereiches zur Ausblendung ablenkender Hintergrundelemente.
- Grafische Verdichtung der Bildobjekte (zum Beispiel Menschenmengen, dicht aneinander gebaute Häuser,
Bootshafen...) zur Steigerung der Bildaussage.
Auch für Teleobjektive lässt sich die Eignung für verschiedene Themenbereiche angeben:
- Porträts und Halbfigur: Für dieses Genre sind vorallem diejenigen Teleobjektive geeignet,
bei welchen sich bei gewünschtem Bildausschnitt eine Distanz ergibt, mit welcher wir auch ansonsten
einer Person gegenüberstehen würden. Beim Kleinbildformat werden lichtstärkere Objektive
mit Brennweiten von 85mm bis 135mm oft als Porträtobjektive bezeichnet.
- Figur und Gruppe: Für Aufnahmen kleinerer Gruppen eignen sich gemässigte Teleobjektive
gut. Die Verflachung gegenüber einer Aufnahme mit Weitwinkelobjektiv lässt die Gruppe geschlossener
erscheinen.
- Landschaft: Aus der Teleperspektive ergeben sich knappere Landschaftsausschnitte, welche sich eher
auf die Strukturen, Flächen und Farben der Landschaft konzentrieren. Oftmals werden solche
Aufnahmen mit dem Horizont ausserhalb des Bildes aus Obersicht gemacht.
- Pflanzen: Teleobjektive eignen sich vorallem für Aufnahmen, welche sich auf einzelne Pflanzen
konzentrieren. Die natürliche Wiedergabe der Form steht im Vordergrund. Mit der geringen Schärfentiefe,
welche Teleobjektive ermöglichen, lässt sich die Pflanze oftmals grafisch vom Hintergrund
trennen.
- Tiere: Tierfotografie verlangt zumeist Aufnahmen aus grösserer Distanz, die Verwendung einen
Teleobjektivs ergibt sich daher fast zwangsläufig.
- Architektur: Insofern die einnehmbare Distanz dies zulässt kann Architektur mit dem Teleobjektiv
weitgehend verzerrungsfrei mit den richtigen Proportionen abgebildet werden. Natürlich ist das
Teleobjektiv auch geeignet zur Aufnahme einzelner Details und Strukturen innerhalb der Architektur.
- Stillleben: Die Eignung von Teleobjektiven für Stillleben ergibt sich weitgehend aus den Anforderungen
an die Tiefenschärfe. Sind die einzelnen Elemente innerhalb einer Ebene arrangiert und werden aus
Obersicht aufgenommen, so steht dem nichts im Wege. Hat das Motiv hingegen eine Tiefenausdehnung, welche
trotz Nahaufnahme durchgehend scharf abgebildet werden soll, so eignet sich ein Normalobjektiv oder
ein gemässigtes Weitwinkelobjektiv besser.
- Experiment: Teleobjektive eignen sich gut für fotografische Experimente. Themen sind Ausschnitte,
Anschnitte und Abstraktionen, einfach alles was mit A beginnt. Gegebenenfalls lassen Sie sich auch zu
Experimenten mit geringer Schärfentiefe verleiten.