Einen Schritt zurückstehen

Wie lassen sich gute Bilder bestimmen, was lässt ein Bild zu einem guten Bild werden? Fragen wir einen Fotografen: Ein gutes Bild ist ein Bild, das für seine Erstellung eine nackte Frau notwendig macht.
Auch wenn diese Antwort unter vielen möglichen als schlechte oder doch zumindest als wunderliche Lösung erscheint, so ist sie gleichwohl nur bei oberflächlicher Betrachtung völlig am Thema vorbei, doch dazu später mehr, auf diesen speziellen Aspekt soll erst im Abschnitt Emotionen zumindest sinngemäss eingegangen werden.
Fürs erste scheint es sinnvoller, die Fotografen bei dieser Frage aussen vor zu lassen. Über gut und schlecht wird von der Kundschaft, den Bildbetrachtern, entschieden. Der Fotograf steht hier auf der falschen Seite - bewahre, die sind alle voreingenommen.

Eine Ansatz geht von drei Aktivierungspotenzialen aus:

Die bildende Kunst regt alle unsere Sinne an. Sie lehrt uns Sehen, das genaue Hinschauen. Sie aktiviert unsere Phantasie, sie weckt unsere Emotion, sie macht Freude und sie provoziert.

(Walter Zügel)

Gestalt und Wahrnehmung

Gestalt -> physischer Reiz

Information -> gedanklicher Reiz

Emotion -> emotionaler Reiz

Als erstes muss ein Bild erfassbar sein. Die Wahrnehmung trennt in erster Linie Objekte aus dem Umfeld und grenzt diese als sinnvolle abstrakte Einheiten ab. Gestaltung kann diese Erfassbarkeit durch Prägnanz fördern, aber ihr auch zuwiderlaufen. Physische Reize sichern sich Aufmerksamkeit durch Sichtbarkeit respektive Unübersehbarkeit. Diese Reize sind praktisch unabhängig vom Betrachter.

Stichworte dazu: Farbe, Grösse, Kontrast, Klarheit, Prägnanz.

Information

Die Information ist ein gedanklicher Reiz, sie erfordert bewusstes Erkennen und somit unsern Verstand. Durch geeignete Forderung des Intellekts werden Bilder interessant. Hierbei unterscheidet sich die Information von der Emotion. Je nach Inhalt fordert Information zum Nachdenken auf, je nach Deutlichkeit des Positionsbezugs kann sowohl Zustimmung als auch Widerspruch entstehen. Gedankliche Reize nutzen sich schneller ab als emotionale Reize.

Stichworte hierzu: Überraschung, Neuartigkeit, Komplexität, Verfremdung, Provokation.

Emotion

Emotionen sind ein zwar unbewusster, aber nicht minder wirkungsvoller Aspekt bei der Betrachtung eines Bildes. Der emotionale Reiz bewirkt hohe Aufmerksamkeit und unterliegt praktisch keiner Abnutzung. Allerdings hängt die Wirkung stark vom Betrachter ab.

Als ein Wesen von Fleisch und Blut wehre ich mich im Namen von Emotion und Empfindung gegen all das, was nichts anderes als interessant und intelligent ist. Ich habe einen Horror vor intelligenten Leuten, die interessante Sachen machen. Wenn ich ins Konzert gehe, dann will ich, dass mir die Tränen kommen; wenn ich nicht weine, bedeutet das: Es war nicht gut

(Olivier Messiaen)

Stichworte zum emotionalen Reiz sind: Babys, Erfolg, Erotik, Glück, Kleintiere, Prestige, Sicherheit, Angst, Konflikt.

Zusammenfassend können Bilder nach drei Kategorien beurteilt werden:

Keinesfalls müssen Bilder nach nur einem Kriterium gestaltet werden - es ist nicht verboten, eine Information ästhetisch zu übermitteln und Ästhetik muss auch nicht jeder Emotion entbehren. Bilder jedoch, welche keiner Kategorie entsprechen sind verfehlt.

Was ich Ihnen noch sagen wollte

Die Wirkung eines Bildes lässt sich nur aus einer Gesamtsicht ergründen. Die Zerlegung in einzelne Stücke und deren Analyse stellt keine erschöpfende Beschreibung dar, da die Teilstücke für sich alleine des Sinnes beraubt sind. Die Erscheinungsweise jedes Teilelements wird bestimmt von seinem Platz und seiner Funktion in einer Gesamtstruktur, so wie ein einzelner Ton seinen Sinn weitgehend innerhalb einer Melodie erhält. Wenn wir die Wirksamkeit eines Bildes (oder spezifisch einer Fotografie) erfassen wollen, so müssen wir das Bild zuallererst als Ganzheit sehen. Was sind die stärksten Eindrücke, was machen die Farben, welche Dynamik ist dem Bild inne und welche Kräfte gehen davon aus? Erst jetzt darf ein Teilelement herausgreifen werden und in Anbetracht des Vorrangs von Hauptmerkmalen der Gesamtanlage eine Aussage getätigt werden.

Literatur

Als wesentliche Quellen dienten die Bücher Sehen - Gestalten und Fotografieren von Ernst A. Weber (das Buch liefert die Idee der drei Unterthemen) und Wodurch Bilder wirken von Martin Schuster. Die Angaben zu beiden Büchern finden Sie unter Literatur.