Licht und Schatten

Licht und Schatten gehören zusammen, Schatten bedingt des Lichtes und Licht wird besser wahrgenommen wenn Schatten vorhanden ist. Man könnte sagen, das eine ist ohne das andere unvollständig.

Wir sind der Meinung, Schönheit sei nicht in den Objekten selber zu suchen, sondern im Helldunkel, im Schattenspiel, das sich zwischen Objekten entfaltet.

(Tanizaki Jun’ichirō, Lob des Schattens)

Es scheint mir daher aus fotografischer Sicht sinnvoll, auch dem Schatten kurz die verdiente Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Licht und Schatten ist vor allem ein Zusammenwirken:

Der Schatten am rechten Rand hindert das
Auge am Verlassen des Bildes.

Licht und Schatten lassen sich auch als Gegensatzpaar auffassen:

Mit Licht lässt sich das Auge im Bild führen. Eine helle Stelle am linken Bildrand eignet sich bestens um das Auge ins Bild hineinzuziehen, eine dunkle Stelle am rechten oder unteren Bildrand verhindert wirkungsvoll ein Verlassen des Bildes, der Blick bleibt im Bild haften.

Helle Stellen drängen nach
vorne.

Auf drei dieser Aspekte möchte ich eingehen:

Schatten symbolisiert Tiefe

Schatten ist eine direkte Folge der Dreidimensionalität der Objekte, entsprechend hat Schatten einen direkten Bezug zu unserem Empfinden von Tiefe und Räumlichkeit. Unter Zuhilfenahme der Schatteninformation im Bild modelliert unser Gehirn die Objekte zu als dreidimensional empfundenen Gebilden. Entsprechend werden Bilder als flach empfunden wenn keine Schatten vorhanden sind. Die Art der Beleuchtung trägt daher wesentlich zum Räumlichkeitseindruck bei. Ausgehend von einer hochstehenden Lichtquelle im Rücken - dies entspricht der Position der Sonne wenn wir nicht gegen das Licht sehen - werden Schatten als unten und hinten interpretiert.

Daraus ergibt sich auch der interessante Aspekt, dass abstrakte Objekte, deren Ausrichtung wir nicht anderweitig klar bestimmen können, ihre empfundene Räumlichkeit umkehren, wenn wir die Lichtrichtung um 180° drehen. Wird die Lichtrichtung umgedreht, also "schräg von unten", so fallen die Schatten nach oben, die normalerweise beleuchtete Seite liegt jetzt im Schatten.

Schatten ist dunkel

Schatten steigert die Leuchtkraft heller Stellen.

Schatten entscheidet massgebend über das
Verhältnis von Hell und Dunkel.

Das erscheint trivial und dürfte wohl die wenigsten überraschen. Schatten ist jedoch mehr als einfach nur fehlendes Licht. Er stellt den Gegenpol dar zu hellen Flächen und zu Farben, steigert deren Leuchtkraft und lässt Farben gesättigter erscheinen, kurz: Das Bild wirkt brillanter. Entsprechend wirkt Licht erst im dunkeln Umfeld hell. Ein helles Objekt wirkt noch heller, wenn es von Dunkelheit und Schatten umrahmt ist - und umgekehrt.

Alle Dunkelheit der Welt kann das Licht einer einzigen Kerze nicht auslöschen.

(Chinesisches Sprichwort)

In einem Bild mit flächenmässig dominanten Dunkeltönen, dazu tragen vor allem auch Schatten bei, werden kräftige Farben betont und einzelne helle Stellen gewinnen an Aufmerksamkeit. Einzelne helle Punkte in einem sonst dunkel gehaltenen Bild oder einzelne dunkle Punkte in einem vorwiegend hellen Bild werden besonders stark beachtet und kriegen dadurch an Bedeutung.

Bei der Unterscheidung von Figur und Grund (Figur-Grund-Beziehung) wird die grössere Fläche allgemein eher als Grund wahrgenommen, die kleinere als Figur. Mit den Flächenanteilen von Licht und Schatten innerhalb des Bildes haben wir es daher in der Hand, ob wir die Figur betonen und herausheben, oder ob wir sie eher nahtlos in die allgemeine Struktur des Bildes eingliedern.

Licht und Schatten trennt somit Wichtiges von Unwichtigem, mit Licht wird das Hauptmotiv betont, nicht umsonst sind bei Konzerten die Scheinwerfer auf die Bühne und dort auf die Musiker gerichtet, obwohl es technisch problemlos möglich wäre die Bühne gleichmässig auszuleuchten.

Ein spezieller Aspekt sind gleiche Anteile von Hell und Dunkel innerhalb eines Bildes. Trotz dem erzeugten Kontraste wirken solche Bilder oftmals unbefriedigend, dies geschieht immer dann, wenn sich diese Anteile gleichwertig gegenüberstehen. Der Wahrnehmung fehlt dann ein klarer Vorrang für eine dieser beiden Zone, es ist als würden zwei Bilder gleichzeitig betrachtet. Beim Bestimmen eines Bildausschnittes schaue ich daher nicht nur darauf wo ein Hauptmotiv zu liegen kommt, sondern oftmals auch, wie sich durch den gewählten Ausschnitt die Verhältnisse von hell zu dunkel innerhalb des Bildes verändern.

Schatten hat eine Form

Schatten hat eine Form.

Schatten ist die Projektion eines Objekts auf eine Fläche, seine Form ergibt sich aus den räumlichen Eigenschaften des Objekts und der Projektionsfläche. Die Form eines sichtbaren Objekts wird in dessen Schatten wiederholt und damit zum zweiten mal sichtbar. Schatten ist also eine Redundanz, welche der Wahrnehmung entgegenkommt und damit die schnelle Erkennbarkeit fördert. Andererseits wird nicht alle Information wiederholt, die Abbildung im Schatten beschränkt sich auf die Form des Objekts. Ist diese Form charakteristisch, so wird der Schatten zum Ikon, einem Zeichen also, dessen Erkennbarkeit sich ergibt durch die Ähnlichkeit zum Bezeichneten in einem charakteristischen Merkmal. Gelegentlich werden deshalb auch reine Schattenbilder angefertigt - der Schatten ist in diesem Fall eine Befreiung des Objekts von Eigenschaften des Objekts wie zum Beispiel Farbe oder Struktur, welche zu dessen Erkennen nicht notwendig sind, eine reine Reduktion auf die Form. Durch Weglassen von unnötigen Details wird Schatten ordnend.