Sieben Farbkontraste

Der Sinn aller Kontrast-Erscheinungen besteht darin, die Vielfalt des Gesehenen zu ordnen und zusammenzufassen, Einzelheiten hervorzuheben und wichtiges von unwichtigem zu trennen.
Gegenstände werden nicht nur als Farben und Formen erkannt, sondern auch durch Vergleiche in Beziehung zueinander gesetzt. Eine Linie wird von uns als lang empfunden im Vergleich zu einer kürzeren. Die gleiche Linie erscheint kurz, wenn eine längere daneben steht. Diese Beziehungen sind Kontraste. Kontraste werden von unserer Wahrnehmung derart ausgewertet, dass Ähnlichkeiten einander angeglichen und Unterschiede verstärkt werden. Wenn sich diese Unterschiede zu Gegenteilen steigern, so spricht man von entgegengesetzt gleichen oder polaren Kontrasten. So sind Gross-Klein, Schwarz-Weiss, Kalt-Warm in ihrer höchsten Steigerung polare Kontraste.

Von Farbkontrast spricht man dann, wenn zwischen zwei oder mehr sich zeitlich oder räumlich gegenüberstehenden Farben deutliche Unterschiede oder Intervalle festzustellen sind. Farben beeinflussen sich aber auch gegenseitig, die Wirkung von Farben kann durch Kontraste gesteigert oder geschwächt werden.

In seinem Buch Kunst der Farbe beschäftigt sich Johannes Itten intensiv mit dem Thema Kontraste und beschreibt sieben charakteristische Farbkontraste:

Jeder dieser sieben Kontraste ist in seinem besonderen Charakter und Gestaltungswert, in seiner optischen, expressiven und konstruktiven Wirkung eigentümlich und einzigartig. Zusammen ergeben sie grundlegende Gestaltungsmöglichkeiten mit Farben.

Der Farbe-an-sich-Kontrast

Der Farbe-an-sich-Kontrast gründet auf das Vorhandensein minimal dreier deutlich unterschiedlicher Farben.

Seine deutlichste Ausprägung ergibt sich mit den als rein empfundenen Farben Gelb, Rot und Blau. Die Wirkung ist immer bunt, laut, kraftvoll und entschieden. Die Stärke des Farbe-an-sich-Kontrast-Wirkung nimmt ab, je mehr sich die verwendeten Farben von den drei Farben erster Ordnung entfernen. So sind die Farben Orange, Grün, Violett schwächer in ihrem Charakter als Gelb, Rot, Blau. Die Wirkung der getrübten Farben dritter Ordnung ist noch undeutlicher.

Die Zahl der Variationen ist sehr gross, und dementsprechend sind auch die Möglichkeiten des unterschiedlichen Ausdruckes:

Wenn die einzelnen Farben mit schwarzen oder weissen Linien voneinander getrennt werden, treten ihre Charaktere stärker hervor. Überstrahlungen und gegenseitige Beeinflussungen werden dadurch weitgehend unterbunden.

Eine grosse Zahl von völlig neuen Ausdruckswerten erhält der Farbe-an-sich-Kontrast durch Veränderung der Hell-Dunkel-Werte.

Ausserdem können die Mengenverhältnisse der Farben verschoben werden, wenn eine Farbe als Hauptfarbe betont und die anderen in geringen Quantitäten nur als Akzente beifügt werden.

Der Hell Dunkel Kontrast

Licht und Finsternis oder Hell und Dunkel ist ein polarer Kontraste, welcher für das menschliche Leben und die ganze Natur von grundlegender Bedeutung ist. Hell und Dunkel ist sowohl ein Aspekt des Lichtes als auch einer der Farbe. Auf der Ebene des Lichts ergibt sich der stärkste Hell-Dunkel-Kontrast mit den Farben Weiss und Schwarz. Was die Farbe anbelangt, so kann der Farbkreis durch Halbieren in eine Hälfte mit hellen Farben und eine ebensolche mit dunklen Farben aufgeteilt werden.

Farbe respektive die Farbhelligkeit bewirkt eine scheinbare Grössenänderung einer Form. Helle Flächen und Formen wirken grösser als gleichgrosse dunkle Flächen. Dieser Umstand entsteht, weil helle Flächen die dunklen Flächen überstrahlen. Bei gleicher Grösse wirken dunkle Objekte schwerer als helle.

Im gleichen Mass wie auch beim Kalt-Warm-Kontrast wird das Raumempfinden beeinflusst. Hellere Flächen und Körper liegen vermeintlich näher, drängen sich in den Vordergrund, solche in dunklen Farbtönen weichen scheinbar zurück.

In einem Bild orientiert sich das hell-dunkel immer an einer Leitfarbe. Soll die Hauptfarbe einen leuchtenden Charakter haben, so muss sich der Rest des Bildes in vergleichsweise dunkleren Farben anpassen.

Bild: Michael Albat

Trägt das Hauptmotiv ein leuchtendes Gelb, so kann das Bild einen hellen Gesamteindruck aufweisen, ohne dass das Gelb dabei seinen hellen Charakter verliert, ein Rot oder gar ein Blau bedarf eines deutlich dunkleren Umfeldes um eine leuchtende Wirkung entfalten zu können.

Eine Schwierigkeit liegt darin, dass sich die empfundenen Hell-Dunkel-Werte der reinen Farbe abhängig von der Beleuchtungsintensität ändern. Rot, Orange und Gelb wirken bei abnehmendem Licht dunkler, Blau und Grün erscheinen vergleichsweise heller. Die Kontraste sind somit abhängig von der Beleuchtung, jeder vorgegebene Hell-Dunkel-Kontrast stimmt nur für eine korrespondierende Beleuchtungssituation. So können die Farbtonwerte bei hellem Tageslicht richtig wirken und in der Dämmerung des gleichen Tages falsch erscheinen. Bilder, die für das Halbdunkel von Kirchen und andere dunkle Gemäuer gemalt wurden, sollten deshalb nicht in hellen Oberlichtsälen von Museen oder in grellem Licht aufgestellt werden.

Der Kalt-Warm-Kontrast

Der Farbkreis kann durch Halbieren aufgeteilt werden in einen Bereich mit warmen Farben und in einen ebensolchen mit kalten Farben.

Der Kalt-Warm-Kontrast beruht auf der Gegenüberstellung von warmen Farben, wie Gelb, Orange, Magenta und Rot, zu kalten Farben wie Cyan, Grün und Blau. Für die Einteilung in warme und kalte Farben spielt die Physik wohl kaum eine Rolle, vielmehr sind es Assoziationen zu Feuer (Rot und Gelb) sowie zu Wasser und Eis (Blau, Weiss), welche den Ausschlag gaben.

Der Kalt-Warm-Kontrast gilt als ein Hauptmerkmal impressionistischer Malerei. Als Monet sich ganz der Landschaftsmalerei zuwandte, trat der bisherig verwendete Hell-Dunkel-Kontrast zurück und der Kalt-Warm-Kontrast kam an dessen Stelle. Die Schatten wurden in kaltem Farben gemalt und kontrastierten mit den warmen Tönen des Sonnenlichtes. Das Zauberhafte in den Bildern von Monet wird durch dieses Spiel von kalten und warmen Farben erzeugt.

In der Landschaft erscheinen entfernte Gegenstände wegen der dazwischen liegenden Luft immer blauer und damit kälter in der Farbe. Der Kalt-Warm-Konstrast enthält somit auch Elemente, welche Nähe und Ferne suggerieren. Kalte Farben weichen scheinbar zurück, warme Farben drängen nach vorne. Er ist ein wichtiges Darstellungsmittel für perspektivische und für plastische Wirkungen. Durch seinen bewussten Einsatz lässt sich also auch ein Raumeindruck mitgestalten.

Mit dem Kalt-Warm-Kontrast lassen sich eine Vielzahl von zweipoligen Empfindungen vermitteln:

Der Komplementär-Kontrast

Zwei Farben, welche sich zu einem neutralen Farbton mischen werden komplementär genannt:

Im exakten Sinne gibt es immer nur eine einzige Farbe, die zu einer anderen Farbe komplementär ist.

Im Rot-Grün-Blau-Farbkreis, stehen die komplementären Farben diametral einander gegenüber. Die komplementären Farbenpaare sind:

Wenn wir die komplementären Farbenpaare in ihre Komponenten zerlegen, machen wir die Feststellung, dass sie immer alle drei Grundfarben Grün, Rot und Blau enthalten:

Ein Komplementärkontrast enthält also immer alle drei Grundfarben, dies ist eine Notwendigkeit damit die Mischung neutral ausfällt. Durch seine Erfüllung wird ein farbliches Gleichgewicht hergestellt, die Farben bleiben derart durch Simultan- und Suksessivkontraste unverändert stehen. Das Auge scheint diese komplementäre Ergänzung zu fordern, respektive erzeugt sie selbsttätig, wenn sie nicht gegeben ist. Der Komplementärkontrast ist daher für die harmonische Farbgestaltung von grosser Bedeutung.

Jeder Komplementärkontrast beinhaltet im Ansatz einen Hell-Dunkel- als auch einen Kalt-Warm-Kontrast, die Farbwirkung beider beteiligter Farben wird dadurch gesteigert. So enthält der Komplementärkontrast mit Rot zu Cyan den maximalen Warm-Kalt-Kontrast und mit Gelb zu Blau den maximalen Hell-Dunkel-Kontrast. Die komplementären Farben Grün und Magenta hingegen weisen in etwa gleiche Helligkeit auf.

Viele werden sich wundern, weshalb Cyan die Komplementärfarbe von Rot sein soll, wo doch all die Jahre klar war, dass die Komplementärfarbe von Rot Grün ist. Der Grund liegt im Verständnis des Farbkreises begründet. Genauer: in der Erwartung, dass die Komplementärfarben sich im Farbkreis gegenüber zu liegen haben. Johannes Itten baute seinen Farbkreis aus Rot, Blau und Gelb auf, Rot gegenüber kam im Kreis also die Mischung aus Blau und Gelb zu liegen, was ein leicht dunkles Grün ergab. Folglich hatte Grün fortan die Komplementärfarbe von Rot zu sein. Alleine, dies ist nicht die Definition der Komplementärfarbe, sondern eine Eigenschaft ebendieser Darstellung im Farbkreises. Die Definition der Komplementärfarbe lautet anders:

Die Rot-, Grün- und Blauanteile beider komplementären Farben müssen sich jeweils zu 100% ergänzen, oder: Was nicht in der einen Farbe ist, ist in deren Komplementärfarbe.

Die nebenstehende Grafik soll dies verdeutlichen: In der oberen Zeile dargestellt sind zwei zueinander komplementäre Farben, beide sind in diesem Beispiel nicht reinbunt, d.h. beide enthalten von allen Farbkomponenten Anteile.

Die jeweiligen Anteile der Farbkomponenten zeigt die zweite Zeile:

Gegenüber der Darstellung im Farbkreis sind wir damit weiter, einerseits sind jetzt auch die Komplementärfarben nicht reinbunter Farben bestimmt, was mit dem Farbkreis so nicht gelingen würde, andererseits ergänzen sich die Farben immer zu einem neutralen Unbuntfarbton, Weiss im Falle einer additiven Mischung, Schwarz bei subtraktiver Mischung und Grau bei der Integrierten Mischung. Genau dies war die Definition zu Beginn des Abschnittes zum Komplementärkontrast. Die stillschweigende Annahme, das Grün und Rot in Mischung einen neutralen Farbton ergibt stimmt übrigens nicht, durch Integrierte Mischung entsteht derart ein unschönes Braun, aber kein neutrales Grau.

Simultan und Suksessiv-Kontrast

Die Wirklichkeit einer Farbe ist nicht immer identisch mit ihrer Wirkung

Johannes Itten

Mit dem Simultan-Kontrast bezeichnen wir die Erscheinung, dass unser Auge zu einer gegebenen Farbe immer gleichzeitig auch nach der Komplementärfarbe verlangt, respektive dass es sie selbsttätig erzeugt, wenn sie nicht gegeben ist. Die simultan erzeugte Komplementärfarbe entsteht als Farbempfindung im Auge des Betrachters und ist real nicht vorhanden.

Man kann folgenden Versuch machen: Bei gleichzeitiger Wahrnehmung einer Bunt- sowie einer Unbuntfarbe, tendiert die Unbuntfarbe in Richtung des Komplements der Buntfarbe. Das Auge versucht einen neutralen Zustand herzustellen und erzeugt zu jeder Farbe simultan ihre Gegenfarbe. Die simultane Wirkung wird um so stärker, je länger man die Hauptfarbe betrachtet, und je leuchtender sie ist.

Das nebenstehende graue Quadrat sollte in der cyanfarbenen Umgebung bei längerer Betrachtung somit eine rötliche Farbtendenz annehmen (Evtl. muss man dazu nahe herangehen, um möglichst viel vom Umfeld auszuschalten).

Aus dieser Tatsache wird abgeleitet, dass die farbliche Harmonie die Erfüllung des Komplementärkontrastes verlangt.

Sobald ein starker Hell Dunkel-Kontrast auftritt, wird die simultane Veränderung erschwert. Wenn unbunte Farben in einer Komposition vorhanden sind und an bunte Farben gleicher Helligkeit grenzen, so verlieren sie ihren unbunten Charakter. Sollen die unbunten Farben ihren abstrakten Charakter bewahren, so müssen die bunten Farben eine andere Helligkeit aufweisen. Die Impressionisten suchten diese malerisch farbige Wirkung der Grautöne, während die konstruktiven und konkreten Maler Schwarz, Weiss und Grau in der abstrakten Wirkung verwenden.

Jetzt noch zum Suksessivkontrast:

Ähnlich verhält es sich mit dem Nachbild. Wird während einer längeren Zeit eine Farbfläche betrachtet, so erscheint diese beim anschliessenden Betrachten einer weissen Fläche als komplementäres Nachbild (Suksessiv-Kontrast).

"Der Aufmerksame" sehe diese Erscheinung überall, schrieb Goethe - Dies ist die Problematik von Experimenten mit nicht naturwissenschaftlicher Festlegung. Es gibt Nachbilder, aber sie erscheinen nicht zuverlässig. Für Goethe war das Resultat zum voraus klar, da seiner Ansicht nach sich alles zu Grau addieren muss. Aus experimentaler Sicht ist auffallend, dass das Gelingen des Effekts die Kenntnis der Komplementärkontraste voraussetzt. Der Verdacht liegt nahe, dass ein Komplementärbild nur gesehen wird, wenn es zuvor gedacht wird. Auge und Hirn sind vollkommen voneinander abhängig.

Der Qualitäts-Kontrast

Der Qualitätskontrast beruht auf dem Gegensatz von leuchtenden, gesättigten zu trüben, gebrochenen Farben. Der Begriff der Farbqualität wird verstanden als Reinheits- und Sättigungsgrad der Farben.

Reine Farben sind solcherart, wie sie durch Brechung von weissem Licht mittels eine Prismas entstehen. Sie weisen grösste Sättigung und hohe Leuchtkraft auf. Nebst diesen reinen Farben gibt es viele weitere Differenzierungen in Bezug auf Sättigung, Reinheit und Helligkeit. Gebrochen wird eine Farbe durch Beimischung von Weiss, Grau oder Schwarz, respektive ihrer Komplementärfarbe. Durch diese Trübung wird allen Farben schnell ihr individueller Farbcharakter und ihre Leuchtkraft genommen. Selbst Schwarz und Weiss können getrübt werden. Die Kraft des Schwarz wird bei Zugabe von Weiss gebrochen, Weiss bei Zugabe von Schwarz beschmutzt. Die Mischung von Weiss und Schwarz ergibt die trübste aller Farben: Grau. Es mag verschiedenste Grau geben, aber niemals gibt es ein strahlendes Grau.

Farben reagieren sehr unterschiedlich auf Trübung. Blau und Grün sind unempfindlich und werden bei Zumischung von Weiss oder Schwarz heller oder dunkler, Gelb und Rottöne hingegen reagieren stark und treten als neue Farben in Erscheinung:

Der Qualitätskontrast ist abhängig von benachbarten Farben, so kann selbst ein schwacher Farbtöne neben einem düsteren Grau noch leuchtend in Erscheinung treten, während der gleiche Farbton uns in Nachbarschaft gesättigter Farben stumpf erscheinen kann. Die Wirkung des Kontrastes trübe-leuchtend ist also eine relative.

Inhaltlich lässt sich mit dem Qualitätskontrast auch ein Räumlichkeitseindruck mitgestalten. Es erscheint uns, als würden leuchtende Farben nach vorne streben. Dies entspricht unserer Erfahrung der Luftperspektive.

Der Quantitäts-Kontrast

Zwei Faktoren bestimmen die Wirkungskraft einer Farbe. Erstens ihre Leuchtkraft und zweitens ihre Fleckengrösse. Goethe hat in seiner Farbenlehre für die subjektiv empfundenen Leuchtkraft der einzelnen Farben einfache Zahlenwerte aufgestellt:

Gelb = 9, Orange = 8, Rot = 6, Violett = 3, Blau = 4, Grün = 6

Diese Werte sollen für voll gesättigte Farben gelten. Sollen zwei Farben ausgeglichen zueinander stehen, so dass keine der beiden Farben mehr hervortritt als die andere, so müssen deren Flächen in umgekehrten Verhältnis ihrer Leuchtkräfte stehen.

Beispiel: Die Helligkeiten von Blau und Orange verhalten sich wie 4 zu 8, somit sollten die Mengenverhältnisse 8 zu 4 sein, also doppelt so viel Blau als Orange, damit Blau betreffend der visuellen Leuchtwirkung mit Orange gleichzieht.

In diesem Zusammenhang spricht man von harmonischem Mengenkontrast, bei stark abweichenden Mengenverhältnissen von exzessivem Mengenkontrast. Ein exzessiver Mengenkontrast ist ein starkes Mittel um in einem Bild Spannung zu erzeugen.

Von Ursache und Wirkung

Goethe beschäftigte sich in seiner Farbenlehre eingehend mit Kontrasten. Dazu erstellte er einen eigenen Farbkreis. Farben, die in seinem 6-teiligen Farbkreis gegenüber liegen, ergaben nach seinen Ausführungen einen harmonischen Kontrast, zwei Farben, die im Farbkreis nicht unmittelbar nebeneinander lagen, hingegen einen charaktervollen Kontrast. Umgekehrt bilden seiner Meinung nach unmittelbar benachbarte Farben einen charakterlosen (disharmonischen) Farbkontrast. Unter anderem darauf aufbauend und erweiternd kategorisierte später der Bauhauslehrer und Künstler Johannes Itten die 7 hier vorgestellten Kontraste im damaligen künstlerischen Kontext. Diese Farbkontraste fanden in der Folge weite Verbreitung und gehören heute gleichermassen zum gestalterischen Grundwissen wie der goldene Schnitt.

Man sollte die Farbkontraste aber nicht als reale Eigenschaften von Farbkombinationen ansehen. Farbkontraste stehen immer auch ein wenig im Komplementärkontrast zu physikalischen Ansichten betreffend Farbe. Auch sind Angaben von Farbkreiswinkeln und Komplementärfarben, welche man gelegentlich in der Literatur findet, abhängig vom jeweils angewandten Farbkreis.

Bei der Analyse von Bildern verhalten sich Farbkontraste ähnlich dem Goldenen Schnitt, sucht man nach ihnen wird man schnell fündig. Damit ist dann jeweils auch schon klar, dass das entsprechende Werk nach diesen Gesetzmässigkeiten gestaltet wurde. Ein wesentlicher Punkt ist, dass Farbkontraste erst nach Goethe als solche benannt und bewusst eingesetzt wurden. Bei Interpretationen historischer Werke ist deshalb Vorsicht geboten. Werden Farbkontraste in einem früheren Werk gefunden, so wird dies gelegentlich als Hinweis betrachtet, dass die Farbkontraste auch ohne das explizite Wissen darum rein gefühlsmässig richtig eingesetzt wurden und deshalb der Natur des Sehens entsprechen. So verwendeten zum Beispiel die Schöpfer mittelalterlicher Kirchenfenster ebenso wie venezianische Renaissancemaler oft Farben, die nach unserem heutigen Verständnis Kalt-Warm-Kontraste bilden. Blau galt jedoch im Mittelalter als warme Farbe, und der Blau/Rot-Kontrast auf einem alten Kirchenfenster wurde wohl von zeitgenössischen Betrachtern völlig anders empfunden als aus unserer heutigen Sicht. Die Einteilung in warme und kalte Farben ist eine gesellschaftliche Konvention. Auch betreffend der mittelalterlichen Buchmalerei wird oft der reine Farbe-an-sich-Kontrast aufgeführt. Diese Farbgestaltung unterlag jedoch einer symbolischen Zuordnung, wurde also nach einem Bedeutungsschema ausgeführt, jede Farbe wurde so eingesetzt, dass sie dem Gegenstand respektive der Figur und ihrer Würde angemessen war. Ein Farbe-an-sich-Kontrast ergab sich nur als Folge daraus aus unserer heutigen Sicht und war kein Gestaltungsgrund.