8. Warum fotografiere ich analog

Autor: Michael Albat

Im Zeitalter der Digitalfotografie bekommen wir es immer häufiger mit den Worten schnell und billig und einfach zu tun. Heute wird man, zumal als SW-Fotograf, immer wieder gezwungen, Stellung zu nehmen, warum man "noch" analog fotografiert - was das Publikum wohl assoziiert mit langsam und teuer und kompliziert. Es ist für unsere Zeit wohl bezeichnend, dass eine wirksame Werbeindustrie solche Ideenverbindungen hergestellen kann, ohne dass die Betroffenen genauer hinterfragen, ob das denn, auf den gesamten Lebenszyklus eines Bildes betrachtet, eigentlich stimmt?

Die Antwort kann ich nur für mich geben, aber es mag für sie ja von Interesse sein, Ihren eigenen Standpunkt "im Unterschied" zu dem meinigen zu überdenken.

Meine ältesten Negative sind etwa 25 Jahre alt. Ich habe sie damals in Pergamin-Hüllen gesteckt und seitdem keine nennenswerten Kosten für die Archivierung mehr gehabt, und Zeit habe ich auch keine dafür aufgewendet. Es mag durchaus sein, dass sie nicht aufbewahrenswert sind, aber da ich nichts aufwenden muss, kann ich den Entscheid darüber ja meinem künstlerischen Nachlassverwalter zuschieben oder auf einen Artillerietreffer warten. Neulich erst fielen mir Bilder in die Hand, die meine Schwägerin am Tag nach der Geburt ihres ersten Kindes zeigen. Der Bursche ist jetzt 1.92m gross und Zimmermann...

Vor einiger Zeit sah ich in einem Fernsehbericht, dass ein Museum seine Glasplatten-Negativ-Sammlung scannen liess. Die Negative waren etwa 100 Jahre alt, und sie haben für ihre Lagerung nie mehr verlangt als einen trockenen Raum mit nur langsam schwankenden Temperaturen. "Und was machen sie, wenn sie mit dem Scannen fertig sind?", fragte die Reporterin. "Dann werden wir unverzüglich Kopien der Scans ziehen", antwortete der Direktor. "Damit die Aufbewahrung gesichert ist!". Nun bin ich der letzte, der etwas gegen Arbeitsbeschaffung hat, nicht wahr. Aber: So schlecht, entnehme ich dem, waren Glasplatten-Negative als Speichermedium denn wohl doch nicht? 100 Jahre! Und immer noch brauchbar, die CD möchte ich noch sehen.

Die Archivierung ist aber wohl ein Punkt, den Digitalfotografen als Quantité négligeable betrachten. Ein furchtbarer Verdacht keimt auf: Vielleicht halten sie ihre Bilder für nicht aufbewahrenswert? Oder, schlimmer noch: Haben sie damit vielleicht gar recht? Hängt dies zusammen mit dem Verwendungszweck digital erfasster Bilder? Es scheint doch so, als ob auch der etwas zu tun hat mit schnell und billig und einfach: Schnell vergessene Werbe- und Pressefotos, Billige Nackedeis. Einfache Bildchen für Versandhaus-Kataloge.

Bei dem Versuch, mir über meine Ansicht zu Thema Digitalfotografie klar zu werden, bin ich auf einen Burschen namens Adolf Loos gestossen, wie Feininger wohl Architekt. Er sagt: "Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede vom Kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat. Das Kunstwerk wird in die Welt gesetzt, ohne dass ein Bedürfnis dafür vorhanden wäre. Das Haus deckt ein Bedürfnis. Das Kunstwerk ist niemandem verantwortlich. Das Haus einem Jeden...".

Wenn man sich überlegt, auf welchen Gebieten die Digitalfotografie Triumphe feiert, so kann man getrost das Wort Haus durch Digitalbild ersetzen: Wo ein Bedürfnis befriedigt werden soll, also etwa von Sport- oder sonstigen Reportern, von Katalog-Fotografen oder sonstigen Illustratoren, aber auch bei der Hochzeitsfotografie ("... die Bilder bitte auch als CD..."), wo also "Profis" zu Werke gehen, da nimmt sich die Digitalfotografie ihren Platz. Ich kenne einen solchen Profi, und er ist gar nicht glücklich damit und darüber.

Dem setze ich entgegen: Meine Bilder müssen niemandem gefallen: Ich setze sie in die Welt, ohne dass in der Welt ein Bedürfnis dafür bestünde. Ich bin nämlich Amateur und daher niemandem verantwortlich. Und da kein Bedürfnis besteht, muss ich mir auch keine Gedanken machen, ob das Bedürfnis echt oder nur vorgegeben ist. Und: Ob es sich um ein schnell erwachtes Bedürfnis handelt, dass billig und einfach befriedigt wird.

Die ersten fünfzig Jahre ihres Bestehens wollte die Fotographie nur die bessere Malerei sein, - witzigerweise wohl ebenfalls schneller, billiger und einfacher, als die Malerei nämlich - bis sie nach dem Ersten Weltkrieg mit der Ausschöpfung der neuen Möglichkeiten der Leica ihre eigenwertige Form fand - und, noch einmal fünfzig Jahre später, als eigenständige Kunstform anerkannt wurde. Die Digitalfotografie hat heute Gleiches noch nicht zu bieten. Nicht, dass ich nun wüsste, wie die eigenwertige Form der Digitalfotografie aussehen könnte! Das ist ja auch nicht mein Bier. Wohlgemerkt: Ich rede hier von Digitalfotografie und nicht von... ja... sagen wir mal, Photoshop-Kunst, also der Verfertigung mehr oder weniger gelungener, mehr oder weniger bunter Collagen. Diese Dali-Verschnitte, nicht? Möwe vor Meer im Mondlicht, so was. Mag für andere ja Kunst sein, mein Gefühl spricht das nicht an. Dalis absurd anmutende Bilderwelt von Träumen war damals erregend und originell, aber heute, nach bald 70 Jahren Nachahmung und Fälschung? Vielleicht noch ein Original, aber bestimmt nicht mehr originell.

"Ja!", sagt mir der Digitalfotograf. "Natürlich gibt es da keinen Unterschied. Fotografie ist Fotografie, unabhängig von der Wahl der eingesetzten Mittel: Wenn ich fotografiere, macht es keinen Unterschied, ob mit KB oder Digital. Die Entstehung des Bildes folgt denselben Gesetzen! Die Erstellung eines guten Bildes ist genau so leicht - oder: genau so schwer. Nur dass ich schneller zwischen guten und schlechten Bildern unterscheiden kann, und die schlechteren schneller wegschmeissen, hier: durch Besseres überschreiben kann."

Ich habe keine Erfahrung damit, aber ich bin skeptisch. Kann alles sein, aber meine Arbeitsweise ist das nicht: Entweder ich fotografiere, oder ich selektiere. Beides abwechselnd kann ich persönlich nicht. Single-minded sagt man ja wohl. (Mehr dazu im letzten Abschnitt.) Ich gebe ja zu, dass ich häufiger mal eine Belichtungsreihe mache, also mehr Material verbrauche als Weidner mir zugestehen will. Aber die Kosten hierfür sind ja, gerechnet zu den Gesamtkosten meiner Ausstattung, eher marginal.

Und dann bewahre ich alle Negative auf, und kann in den nächsten 25 Jahren jederzeit eine erneute Selektion treffen, nach nunmehr ganz anderen Gesichtspunkten als "in der Hitze des Gefechtes". Mich kostet das nichts. Sie kostet das vielleicht das Bild, das sich in der Nachschau als das Wertvollste und Wichtigste erwiesen hätte.

Wenn sie ein Amateur sind, also jemand, der etwas aus der Liebe zur Sache tut, und digital fotografieren, dann sollten sie vielleicht noch einmal zurückkehren zu dem ersten Abschnitt. Vielleicht sollten sie sich ein paar Gedanken darüber machen, was Ihre Sache denn ist. Ich persönlich glaube, dass sie sich an das falsche Publikum wenden...

Warum fotografiere ich - für einen Papierabzug

Es ist an der Zeit, über einige Begriffe nachzudenken, die ich bisher so selbstverständlich gebraucht habe, nämlich Bild, Foto, Fotografie und Photographie. Eigentlich sollte man Definitionen ja immer zu Anfang bringen, aber besser spät als nie.

Es geht mir zunächst um die Frage, wie sich ein Bild "manifestieren" kann, wie es sich uns präsentiert. Als Bitmuster natürlich, wie auf dieser Homepage üblich. Gescannt und durch EBB mit einem Rahmen versehen. Andererseits gibt es die Internet-Foren wie "FOTOcommunity" ("für's Volk") und "PHOTOportale" (für die sich so fühlende Elite), wo aber auch nur mit EBB vorbehandelte Bilder zu sehen sind.

Es ist doch aber so, dass bei den Begriffen Foto, Fotografie und Photographie so eine leise Andeutung eines Papierabzuges mitschwingt - schon der Tradition wegen. Und die Grösse wie der Preis des Abzugs ist dann auch ein Mass unserer Wertschätzung.

Ein Foto - schweizerisch auch Föteli genannt - ist dann so ein 13*18 Abzug aus dem Supermarkt, hübsch vielleicht für die Familie und den Freundeskreis, aber nicht besonders anspruchsvoll. Eine Fotografie dann schon etwas grösser - und (uns) teurer. Bei einer Photographie hat man dann etwas ganz Edles, Grossformatiges auf schwerem Baryt-Papier in der einen Hand, in der anderen dann die Kreditkarte. Wie das so ist, wenn der Betrag vielstellig wird. Natürlich kann man sich jetzt darüber unterhalten, ob ein Dia nun ein Foto, eine Fotografie oder eine Photographie ist, aber das lasse ich jetzt mal. Was mich schon mehr interessiert, ist die Frage, ob ein digital aufgenommenes Bild ein Foto, eine Fotografie oder eine Photographie ist. Oder: sein kann. Aber das lasse ich jetzt auch.

Ich bekenne: Für mich persönlich ist ein Bild nur vorstellbar als Papierabzug. Warum fotografiere ich? Ich fotografiere, um später eine Photographie in Händen halten zu können. Ich präsentiere meine Bilder auch im Internet, aber das ist nur ein Abfall-Produkt, oder, auf gut Deutsch, ein spin-off. Natürlich weiss ich, dass man auch Digitalbilder abziehen kann. Auch meine Dias werden erst gescannt (25MB TIFF), dann elektronisch aufbereitet und schliesslich ausbelichtet. Aber das mache nicht ich, das macht ein Fachmann für mich.

Warum fotografiere ich - nicht Digital oder Die Aura des Kunstwerks

"Gewonnen hat die Ausstellung seit Wien vielleicht an dramatischer Intensität - jedenfalls kommt in der Londoner National Gallery und dort im Untergeschoss des Sainsbury Wing das nächtlich anmutende Dunkel der Ausstellungsräume dem auf Kreta geborenen El Greco sehr zustatten." (Feuilleton Neue Zürcher Zeitung, 22. März 2004)

Wenn sich das Wesen der analogen Fotografie in einem Papierabzug manifestiert, so ist folglich das Wesen der Digital-Fotografie die Darstellung des Bildes auf einem Bildschirm. Oder etwa nicht? Ein kluger Freund aus der norddeutschen Tiefebene hat mir die provokatorische Frage geschenkt, was wohl aus der Digitalfotografie geworden wäre, hätte sich das Internet nicht gleichzeitig entwickelt. Ich habe doch nichts übersehen? Es wundert mich immer wieder, dass es zwar Digital-Fotografie heisst - und nicht Elektronische Bild-Erfassung -, das Ergebnis aber mit der Elektronischen Bild-Bearbeitung EBB oder -Verarbeitung EBV, nicht aber mit einer Elektronischen Foto-Bearbeitung EFB behandelt wird.
Gutgut: Es ist mir schon klar, dass man Digitalbilder auch ausdrucken kann, und wie in diesem Text des öfteren gezeigt, kann man umgekehrt auch Abzüge scannen - wir erhalten dann also eine elektronische "Foto-Kopie".

Bei einer Bildbeurteilung frage ich mich, ob ich es bei mir zu Hause aufhängen würde, und, wenn ja, wo. Nun bin ich ein armer Mann und habe gar kein Haus. Aber ich kann mir einen Palast vorstellen, mit allen möglichen Räumen, die in verschiedenen Stilen möbliert sind, mit Wintergarten, Sauna und auch Abtritten, und bei Bedarf grabe ich mir sogar noch einen Folterkeller dazu. So gibt es viele Möglichkeiten, ein Bild aufzuhängen. Im Gegensatz zu mir hat der reichste Mann der Welt natürlich ganz andere Möglichkeiten. Er muss sich gar keine Bilder aufhängen, sondern er kann Bildschirme installieren. Damit könnte er sich jetzt natürlich jede Menge Digitalbilder anschauen - tut er aber nicht.

Ich zitiere den Anfang eines Artikels von Ernst Schmiederer:

Angefangen hat die Sache vergleichsweise unspektakulär mit dem Wunsch nach einer standesgemässen Behausung: 1989, da war Bill Gates zwar noch ledig, aber schon steinreich, gründete er die Firma Interactive Home Systems. Das in Bellevue im amerikanischen Bundesstaat Washington angesiedelte Unternehmen sollte Kunstwerke und Rechte an Kunstwerken erwerben, um aus den Originalen digitale Kopien fertigen zu können. Die wiederum wollte Gates - wenn sein Haus denn je fertig werden sollte - auf nahtlos in die Wände eingelassenen Bildschirme präsentieren.
[...]
Ob Mona Lisa, die Venus von Willendorf oder ein Foto von Raquel Welch in schwarzer Wäsche, ob Matisse oder Hitler - alles eins.

Porträt eines
Kardinals,
El Greco.

Nun weiss ich natürlich nicht, wie sie zu dem Gedanken stehen, sich ein richtig grosses Gemälde wie etwa Porträt eines Kardinal auf einem Bildschirm in Originalgrösse (hier 180.8 x 108 cm) präsentieren zu lassen. (Ich glaube aber, da ist der Rahmen noch nicht dabei. Nehmen sie also sicherheitshalber eine Nummer grösser.) Wenn nun Kunst "der geistige Gehalt des Werkes" ist, wird er dann mit transportiert bei einer Digitalisierung auf 8092 Farbstufen? Nun ja, vielleicht lässt sich der geistige Gehalt ja auch komprimieren - auf 135kB - und dann auf einem normalen PC-Monitor anzeigen.

Nun, ich denke mal, die meisten unter uns neigen der Ansicht zu, dass man ein Ölgemälde, einen El Greco, Rubens oder welchen alten Meister sie sonst schätzen, weder auf einem der im letzten Jahrhundert so beliebten Kunstdrucke noch heute auf einem Computerbildschirm "in voller Schönheit" würdigen kann. Betrachten wir beispielsweise das wohl berühmteste Kunstwerk: Die Mona Lisa. Von der gibt es ja nun wirklich jede Menge Reproduktionen, Copyright by Bill Gates. Und trotzdem drängen sich die Touristen noch heute, um dieses schwachsinnig grinsende Weib im Original zu bestaunen. Etwas muss also dran sein an der Aura des Kunstwerks - aller Reproduktionstechnik zum Trotz.

Vielleicht hat der eine oder andere von uns einmal den Stanley-Kubrick-Film Barry Lyndon gesehen. Dort tauchen im Hintergrund eine ganze Reihe von riesigen Schinken auf, gezeigt aber nicht wie heute im Museum, sondern so, wie damals gedacht: Als Raumschmuck, oder auch zur Verdeckung von Wasserflecken. In dunklen Räumen, und nicht durch Halogen-Lampen erleuchtet, sondern durch ein paar Kerzen oder sonstige trübe Funzeln. Und da kann man sich ja nun fragen, ob die Digitalisierung eines Bildes bei einer Lichttemperatur von 5400 Grad Kelvin adäquat ist? Dafür hat der Maler das Bild schon deshalb nicht geschaffen, weil Lord Kelvin erst später, nämlich 1824 geboren wurde.

Mit Fotos (oder meinethalben auch Photographien) sieht das jetzt anders aus: Ein Abzug (oder ein Dia) ist flach, und wenn wir sie scannen, so haben wir wenigstens dort keinen Verlust. Sehr im Gegensatz zu einem Ölgemälde, das durchaus huckelig-buckelig dreidimensional ist. Natürlich erleiden wir einen Verlust, wenn wir ein digitales Abbild des Abzugs, eine digitale "Foto-Kopie" herstellen. Die ist rein juristisch nun kein Kunstwerk mehr. (Sie erinnern sich: Bei reproduzierten Kunstwerken müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: sie dürfen nur in einer limitierten Auflage hergestellt sein, und sie müssen eine handschriftliche Signatur tragen, und das ist hier ja nun kaum möglich.)

Warum fotografiere ich - Kleinbild

Meiner Ansicht nach ist es ein Zeichen von Dummheit oder Faulheit, wenn ein Fotograf statische Objekte mit einer Kleinbildkamera schiesst und dadurch Kopien geringerer grafischer Qualität produziert. (The Creative Photographer S. 130)

Uns Heutigen stehen nun Werkzeuge und Materialien zur Verfügung, von der Schultz nur träumen konnte. Digital natürlich und Analog, und wenn Analog, dann Gross-, Mittel- und Kleinbild-Format.

Bild: Michael Albat

Ich habe wohl schon erwähnt, dass mein Sujet "Unarrangierte technische Stillleben" sind. Einige Freunde haben mir nach Durchsicht vieler Filme geraten, doch auf Mittelformat umzusteigen. Was ich nicht will - einerseits wegen der Kosten, andererseits, weil ich mich nicht an noch mehr Technik gewöhnen will, hauptsächlich aber wegen meiner Arbeitsweise. Auch die Arbeitsweise, das Herangehen an das Sujet ist von der gewählten Technik abhängig. Und dann kommt Feininger mit dem diesen Abschnitt einleitenden Zitat. Meine Freunde fanden das sehr amüsant. Sie hoffentlich auch.

Im Bereich der Fotografie werden wir Gross- und Mittel-Format verwenden wollen, wenn wir die Priorität auf Detailreichtum - und damit Kopier- und Vergrösserungsmöglichkeit - legen. Auf der anderen Seite bleiben uns, mit Gross- mehr noch als mit Mittel-Format, Sujets wie etwa Reportage oder Sportfotografie verschlossen. Schultzens verwackelter Strauss, nicht wahr.

Um uns aber den Detailreichtum von Gross- und Mittel-Format wirklich zu erschliessen, kommen wir um die Verwendung eines Stativs nicht herum. Dies wiederum bedingt, dass man eigentlich schon vor dem Aufbau des Stativs das Bild im Kopf haben muss, das Sujet also "intellektuell" durchdacht haben muss, und andererseits die Aufnahme- und Entwicklungs-Technik (Stichwort Zonensystem) im Griff haben muss. Aus dem Sujet einerseits und aus der Aufnahmetechnik andererseits kommen dann schnell Photographien - ja, doch schon Photographien -, die grausig sind in ihrer eisig klirrenden Perfektion, die jede Menge technisch messbarer Qualitätskriterien erfüllen, aber das vermissen lassen, was Feininger beschrieben hat als Spontaneität und Bewegung, die auf Tätigkeit und Leben hindeuten.

Beispiel für solch kopflastige Fotografen sind Adams und Weidner. Da mag die Sonne noch so warm auf einen toten Baum scheinen: Es vermittelt sich nicht, die Bilder wirken gestellt. Was sich vermittelt, ist nur das Gefühl, dass der Fotograf nicht an dem Baum, seinem Leben und Sterben in der Landschaft interessiert war, sondern an dem Bild, an dem zu erstellenden Muster; interessiert nur noch an dem zu bewältigenden Kontrastumfang, der Linienführung, der Komposition. Die Maserung des Holzes, Symbol doch des nunmehr vergangenen Lebens des Baumes - nur notwendig als Struktur, die die Oberfläche des Objektes charakterisiert und belebt. Nicht Subjekt, sondern nur Objekt ist der Baum nur noch, nun auch seiner Würde beraubt. Da können wir ja auch gleich Akt-Fotografien machen, die eine Frau - nein: ein Modell! - auf ihre sekundären oder primären Geschlechtsorgane reduziert. Das Produkt dann noch zweckdienlich benannt, da Typen ja bekanntlich in Serien hergestellt werden, also mit einer Seriennummer versehen, und fertig ist "Torso #4711(92)". Nun, meine Vorgehensweise ist das nicht. Zwar besitze ich ein Stativ, und zwar eines, mit dem man zur Not auch einen Panzermotor lüpfen könnte, aber es kommt eigentlich nur dann zum Einsatz, wenn ich eines meiner Langzeitthemen bearbeite, also tatsächlich schon vorher weiss, was ich will. Sonst ziehe ich es vor, mein Thema zu umkreisen und zu umbücken; auf die Motive zu warten, die mich zart am Rockzipfel zupfen und anfragen, ob sie genehm sind. Nicht nur bei der Portraitfotografie gebe ich auch schon mal den ersten Film dran, nur um in Stimmung zu kommen. Bei dem Geld, was ich für die Kameras und Objektive ausgegeben habe, spielt das nun auch keine Rolle mehr.

Warum fotografiere ich - Analog Schwarz-Weiss

Durch die Schwarz-Weiss-Fotografie können neue und wesentliche optische Erfahrungen gewonnen werden. In Anbetracht dessen ist es schwer zu begreifen, warum so wenige Fotografen die Kraft des reinen Schwarz-Weiss ausnutzen. Sie haben eine Scheu vor "leeren" Schatten und Angst vor "gedeckten" Lichtern. Man könnte sie mit Komponisten vergleichen, die nur in den mittleren Tonlagen arbeiten. Sie verkennen die in ihrem Medium steckenden Möglichkeiten und verzichten freiwillig auf einen Teil ihrer Ausdrucksmittel. Sie haben eine Schwäche für flaue, kontrastlose, gräuliche Bilder, denen jede grafische Kraft fehlt. Sie verwenden Tagesblitze, um wesentliche Schatten durchsichtig zu machen und dämpfen Lichtakzente, um die geradezu entsetzliche Möglichkeit detailloser Flächen auf dem Bilde zu vermeiden. Da ist es natürlich kein Wunder, dass sie dauernd Bilder bringen, die fast jedem Farbfoto unterlegen sind. (The Creative Photographer S. 226)

Ja, die schlichte, analoge Schwarz-Weiss-Fotografie: In meinen Augen eben doch das Salz der Erde. Warum mag ich das, ein warm verhüllendes Schwarz oder ein kühl aufklärendes Weiss, ein abstufend vermittelndes Grau? So ganz kann ich es nicht sagen - der wesentliche Punkt dabei ist aber die Abstraktion, hier gemeint als die Konzentration durch Weglassung des Nicht-Wesentlichen, auch und insbesondere der Wegfall der Farbe. Verdichtung, Vereinfachung, Ordnung, Klärung. Dies sind die Grundprinzipien der Kunst, sagt Feininger, und so sehe ich das auch. Farbe verstösst gegen Vereinfachung, und behindert die Verdichtung.

Leider habe ich nun nicht immer einen Weg gefunden, auf Farbe zu verzichten. Ein Köcherbaum in flirrender Mittagshitze wird SW doch immer so kühl aussehen wie der Schatten, den er spendet; auf IR-Aufnahmen wird sich immer die Mondschein-Atmosphäre durchsetzen. Vögel, ob nun schlicht schwarz oder bunt, "kommen" in Schwarz-Weiss einfach nicht, sehen wir von Möwen einmal ab. Haarwild ja, manchmal, Flugwild immer nein. Manchmal braucht es das Blau des Himmels, manchmal ist die Farbe des Objekts eben doch bestimmend.

Warum fotografiere ich - Analog, Schwarz-Weiss und ungetont

Reines Schwarz-Weiss hat eine gewisse abstrakte Schönheit. Durch eine gut ausgewogene Komposition, die auf nichts anderem als einem schönen Verhältnis von Schwarz und Weiss beruht, kann - ganz gleich, um welches Bildmotiv es sich handelt - eine harmonische Wirkung erzielt werden. [...] Die abstrakte Schönheit von Schwarz, Grau und Weiss in einer Wiedergabe würdigen zu können, ist das Kennzeichen eines feinfühligen Fotografen. (The Creative Photographer S. 227)

Von dem klugen Grübler Friedrich Hebbel stammt der Satz, dass die Menschen zwar dem Feuerwerk applaudieren, nicht aber dem Sonnenaufgang. Hebbel fand das bedauerlich - nicht, weil er eine grundsätzliche Abscheu vor Lichtspielen hegte, sondern weil es ihn erstaunte, dass sich die Leute von kurzen künstlichen Reizen viel stärker in den Bann ziehen lassen als vom Zauber des Natürlichen.

Mir ist unerfindlich, was Tonung soll: Entweder schmecken die Bratkartoffeln auch so, oder sie kommen aus der Friteuse. Im ersten Fall braucht man kein Ketschup, und im zweiten Fall sollte man besser Nudeln essen.

Ich habe mir sagen lassen, dass amerikanischer Bourbon eigentlich klar ist, und mit Zuckercoleur nur der Möbelbeize auch optisch angepasst werden soll. Gut, dieses Argument kann ich begreifen. Was es aber bringen soll, sepia über ein Bild zu kippen, dass schon in schlicht-schönem Schwarz-Weiss vorlag. "Ja", heisst es dann, "Alte Bilder haben eben einen Sepia-Ton, und ich möchte meine Bildaussage durch die Farbe unterstützen!". Aha, soso. Authentisch wie ein Replikat also.

Merkwürdigerweise schreien die Apologeten gerade dieser Kunst am lautesten, dass ein Bild "aus sich heraus wirken" sollte - und dann wird alles Marode (rost?-)braun gefärbt und eine Lokomotive (stahl?-)blau. Nein, liebe Freunde: Schwarz-Weiss verdichtet, vereinfacht, ordnet, klärt; darauf gesetzte Tönung verkompliziert und verwirrt.

Bild Andreas Hurni

Auf Schwarz-Weiss gesetzte Tönung verkompliziert und verwirrt, was vorher verdichtet, vereinfacht, geordnet, geklärt wurde. Wenn es vorgängig aber nicht geordnet und geklärt wurde, hilft auch das Maggi der Fotografie nicht weiter. Bei einem grünen Akt, sagt Feiniger, liegt die Betonung auf grün - und nicht auf Akt. Maggi in der Suppe vertrage ich, aber grüne Akte schlagen mir rauf den Magen. Cross-Entwicklungen, nicht? Oh Gott - mir wird übel..

Ich will mal hoffen, dass dies alles nur ein Irrweg ist, der bald aufgegeben wird. Denken sie nur an die Falschfarben-Bilder, die in den 60ern, mit dem Aufkommen der Farbfotografie hergestellt wurden. In dem Büchlein "Richtig sehen, besser fotografieren" von 1973 sind noch eine ganze Reihe davon abgebildet. Und heute, 30 Jahre später? Ihre Schöpfer sind vergessen, ihre Werke zu Staub zerfallen. Was aber hat überlebt, auch aus jener Zeit? Die schlichte, schöne Schwarz-Weiss-Fotografie!

Warum fotografiere ich - Analog, wo das doch ausstirbt?

"Nein, in 300 Jahren werden die Seeleute wahrscheinlich weder berührt sein noch sich zu Spott, Zuneigung oder Bewunderung hinreissen lassen. Sie werden die Abbildungen unserer so gut wie ausgestorbenen Segelschiffe mit einem kalten, neugierigen und doch gleichgültigen Blick flüchtig ansehen. Unsere alten Schiffe werden nicht die Vorfahren ihrer Schiffe sein, sondern ihre Vorgänger, deren Laufbahn zu Ende und deren Art ausgestorben ist. Und so wird auch der Seemann der Zukunft nicht unserer Abkömmling, sondern, was für ein Fahrzeug auch immer er dann fachkundig führen wird, nur unser Nachfolger sein." (Joseph Conrad, "Spiegel der See", 1906)

Nun, wir wissen heute, dass Joseph Conrad mit seiner Befürchtung nur zum Teil recht behalten hat. Zwar werden grosse Segelschiffe heute nur für die Passagierschifffahrt gebaut und betrieben, dafür aber gibt es unzählige Segelboote. Obwohl es mit Motor doch viel einfacher ginge!

Ich glaube nicht, dass die analoge Schwarz-Weiss-Fotografie ausstirbt. Seit 25 Jahren wird mehr in Farbe als in Schwarz-Weiss fotografiert, seit 25 Jahren ist die Schwarz-Weiss-Fotografie aber auch eine Domaine der Selbst-Entwickler und der Tüftler. Ein Gebiet, auf dem sich die Fotografen tummeln, die noch an Qualität glauben, an ehrliche Arbeit, an sinnvolle Resultate! Natürlich ist ihre Zahl numerisch klein, aber das Internet erleichtert ihnen den Kontakt, so dass sie sich nicht allein fühlen müssen. Nein, schimpfen sie mich einen Optimisten: Ich glaube daran, dass es eher mehr als weniger werden!